Zinskommentar 2012: Merkel immer mehr isoliert

Kurz vor dem entscheidenden Wahlsonntag in Frankreich hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen auf ihrer Sitzung in Barcelona unverändert bei einem Prozent belassen. EZB Präsident Draghi fordert weiterhin Regierungen und Banken auf, ihren Beitrag zur Gesundung des Systems zu leisten, in dem die einen ihre Haushaltssanierungsinitiativen intensivieren und die anderen die Kreditvergabe an Private und Unternehmen aufrecht erhalten.

Banken als Staatenfinanzierer
Das klingt recht einfach und logisch, hat aber mehrere Haken. Die europäischen Banken haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten enorme Bilanzsummen aufgebaut, in dem sie nicht nur Private und Firmen mit Krediten versorgten, sondern sich auch zu einem Hauptfinancier der immer größer werdenden Staatsschulden gemacht haben. Lange galten diese Schulden der europäischen Staaten als risikolose Anlage, gegen die kein Eigenkapital der Banken vorgehalten werden musste. So lange sich also Banken am Kapitalmarkt günstig refinanzieren konnten, erschien der Kauf von Staatsanleihen als smarter Weg zum Geldverdienen. Besonders hervorgetan haben sich mit dieser Anlagestrategie deutsche, französische, belgische und österreichische Institute, die von ihren jeweiligen Staaten direkt oder indirekt garantiert wurden und daher extrem günstig Geld aufnehmen konnten. Deutsche Landesbanken, die deutsch-belgische Dexia oder die österreichische Kommunalkredit sind diesen Bilanzaufblähungen zum Opfer gefallen. Im Kern haben viele dieser Institute lange wie Schattenhaushalte der Staaten agiert und die Ausdehnung von Staatsdefiziten finanziert. Die Politik hat dies dankend zur Kenntnis genommen und ist erst aufgewacht, nachdem die Interbankenmärkte nach der Lehman-Pleite zusammengebrochen sind. Damit Banken im großen Stil Kredite an Staaten vergeben, hat man sich im virtuosen Zusammenspiel von Politik und Bankenaufsicht einen besonderen Trick einfallen lassen. Staatskredite in ganz Europa können vergeben werden, ohne dass die Banken dagegen Eigenkapital vorhalten müssen. Das macht Staatskredite viel attraktiver als Unternehmenskredite und hat die Bilanzen maßlos aufgebläht. Spätestens mit der Umschuldung von Griechenland ist aber klar geworden, dass Kredite an Staaten mitnichten risikolos sind und dass die Banken massive Abschreibungen in ihren Bilanzen vornehmen müssen, wenn weitere Staaten den gleichen Weg wie Griechenland gehen. Damit fallen die Banken praktisch als Käufer von Staatskrediten aus. Die EZB musste direkt mit Aufkäufen von über 200 Mrd. Euro einspringen und hat den Banken mehr als 1.000 Mrd. Euro für drei Jahre zur Verfügung gestellt, damit diese zumindest kurze Staatstitel weiter erwerben und dadurch die Finanzierung der Staaten ermöglichen.

Gleichzeitig hat aber die Politik und die Bankenaufsicht begonnen, die Banken durch Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften und Auflagen gegen Staatshilfen zu einer Reduzierung ihrer Bilanzsummen zu zwingen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Neuvergabe von Krediten an Private und Unternehmen eingeschränkt wird. Die meisten großen europäischen Banken werden in den nächsten Jahren ihr Kreditgeschäft zurückfahren müssen, um die neuen Regeln einhalten zu können. Wenn also Herr Draghi und die Politik das Gegenteil fordern, so ist das Polemik, um von ihren eigenen Verfehlungen abzulenken.

Der Sparkurs verliert Mitstreiter in der Eurozone
Und nun zur Haushaltssanierung. Hier sah es über die vergangenen zwölf Monate so aus, als ob sich Frau Merkel mit ihrer Forderung nach einem strikten Sparkurs für Europa durchgesetzt hätte. Ohne große Gegenwehr haben sich die Länder diesem aus jedem privaten Haushalt bekannten Prinzip angeschlossen: Ausgaben senken, Neuverschuldung reduzieren (von Schuldenabbau war ja nie die Rede) und schrittweise wieder Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Das klingt einfach und klar. Wäre da nicht in einigen Ländern mit eingeschränkter Wettbewerbsfähigkeit ein Teufelskreis am Laufen. In Griechenland sowieso, aber auch in Portugal und Spanien wird immer klarer, dass durch weitere Sparmaßnahmen die Wirtschaft nur noch schneller schrumpft und die Arbeitslosigkeit nur noch schneller steigt. Diese Länder haben den Rubicon längst überschritten und werden von Schuldendienst und Rezession stranguliert. Diese Länder brauchen umfassende Sanierungspakete mit Schuldenerlass und Investitionsprogrammen, sonst kommen sie nicht mehr auf die Beine. Ob für diese Länder eine Sanierung innerhalb des Euro überhaupt möglich ist, ist stark zu bezweifeln. Woher das Geld für die Sanierung kommen wird, steht auch schon fest: von der EZB über weitere Gelddruckaktivitäten und über Transferzahlungen der wenigen verbliebenen starken Länder, allen voran Deutschland als größten Zahler.

In Frankreich, bisher der Garant für einen großen und auch kohärenten Kern des gemeinsamen Währungsgebietes, hat Herr Hollande die Zeichen der Zeit für sich erkannt. Er wird die Wahl wohl gewinnen, indem er den Franzosen erzählt, dass er ihnen harte Anpassungen ersparen wird. Und dass ein strikter Sparkurs nach deutscher Forderung weder für Frankreich noch für die aktuellen Problemländer die richtige Antwort ist. Weitere Schulden sind ok, solange sie unter dem Titel „Zukunftsinvestition“ gemacht werden. Aber wurden nicht alle Schulden der vergangenen 30 Jahre der Bevölkerung als Investition, also „positive“ Schulden verkauft? Europäische Förderprogramme werden dann wieder aufgelegt. Schattenhaushalte werden gebildet und mit Tricks wird man es auch schaffen, viele dieser „einmaligen Belastungen“ aus den offiziellen Defizitdaten herauszuhalten. So wie das schon in den vergangenen 20 Jahren gemacht wurde. Gewinnt Hollande die Wahl, wird Frau Merkel die einzige in der Eurozone sein, die noch für Sparkurs steht. Selbst die Niederlande wurden gerade von Herrn Wilders in die Knie gezwungen und werden mit der neuen Regierung ein moderates Sparprogramm vorlegen müssen, um nicht noch mehr Wählerstimmen an die Wilders Partei zu verlieren. Plötzlich erscheint Herr Monti in Italien als der letzte aufrechte Partner von Frau Merkel. Wer hätte das gedacht.

Niedriges Zinsniveau ist ideal für Baufinanzierer
In diesen Entwicklungen steckt die Gefahr, dass dem gesamten Eurogebiet schrittweise das Vertrauen der Anleger entzogen wird. Noch werden deutsche Staatsanleihen als Hort der Sicherheit gesehen. Das muss aber nicht so bleiben, wenn klar wird, dass am Ende nur noch Deutschland als Zahler übrig bleibt, oder dass ganz Europa auf eine Inflationierung hinarbeitet, weil es die Anpassung über den Sparkurs nicht auf sich nehmen will. Wie wird dann ein isoliertes Deutschland reagieren? Verwerfungen an der Zinsfront könnten dann auch auf den Kern der Union übergreifen. Für die nächsten Monate spricht aber viel für weiterhin tiefe Zinsen und daher ein perfektes Umfeld für deutsche Baufinanzierungskunden. Diese historisch tiefen Zinsen gilt es konsequent zu nutzen.

Quelle: Kommentar zur Zinsentwicklung 2012 der Interhyp AG vom 04.05.2012

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